In diesem Beitrag sollen spezielle Praxissituationen aus dem Bereich der Energietechnik dargestellt und nach den normativen bzw. technischen Grundsätzen und Bewertungsmaßstäben kommentiert werden. Dabei geht es unter anderem um Anschlüsse von Betriebsmitteln und Mängel bei Leitungsverlegungen.
Vorgaben der VdS 2871
Bei der Überprüfung einer elektrischen Anlage nach VdS 2871 (Revision der elektrischen Licht- und Kraftanlagen) gibt es folgende Grundsätze. Im Abschnitt 1 ist zu lesen: »Die Prüfung elektrischer Anlagen nach Klausel SK 3602 erfolgt auf Grundlage einer Vereinbarung im Versicherungsvertrag. Dabei wird unterstellt, dass der Versicherungsnehmer sämtliche aus rechtlichen Grundlagen herrührenden Verpflichtungen, insbesondere die Veranlassung der erforderlichen Prüfungen, erfüllt. Ziel der im nachfolgenden beschriebenen Prüfung der elektrischen Anlage ist es sicherzustellen, dass den besonderen Anforderungen des Versicherers an den Sachschutz Rechnung getragen wird. Die Prüfung elektrischer Anlagen nach Klausel SK 3602 entbindet den Versicherungsnehmer nicht von der Prüfpflicht aufgrund anderer Normen, technischer Regelwerke oder Gesetze.«
Weiterhin gibt es im Abschnitt 2 den Hinweis: »Grundsätzlich ist nur der versicherte Umfang nach Vorgaben des Versicherers zu prüfen. Liegen dem Sachverständigen keine anderslautenden Informationen vor, so ist der gesamte Risikostandort zu prüfen. Die Prüfung besteht aus Besichtigungen, Funktionsprüfungen und Messungen sowie Ordnungsprüfungen gemäß Abschnitt 2.5 dieser Richtlinien.«
Schilderung des Sachverhalts und der Vorgehensweise
Im Rahmen einer Sachverständigenüberprüfung nach den Vorgaben der VDS 2871, die vom Anlagenbetreiber bei mir bezüglich der Vorgabe der Gebäudeversicherung beauftragt wurde, sind die nachfolgend aufgeführten Abweichungen von den allgemein ankerkannten Regeln der Technik (a. a. R. d. T.) bzw. der Herstellervorgaben aufgefallen.
Die Schilderungen sind auszugsweise und mittels Bildern belegt. Es werden hauptsächlich die vorhandenen Abweichungen von den a. a. R. d. T. bzw. der Herstellervorgaben mit der zugehörigen normativen Herleitung und technischen Erläuterung gezeigt.
Die Situationen selbst fand ich im Rahmen der Anlagenüberprüfung nach der schon erwähnten VDS 2871 vor. Sie wurden von mir gutachterlich bewertet und im Rahmen des Befundscheines nach VDS 2229 dokumentiert. Dem Anwender sollen hierdurch wichtige Hinweise und Anregungen gegeben werden, um bei der Planung, Errichtung, Instandhaltung und Überprüfung elektrischer Anlagen typische Problemstellungen erkennen bzw. vermeiden zu können. Alle nachfolgenden Praxisfälle werden hinsichtlich der Bewertungsansätze sowie der Mängelbeseitigung durch den Anlagenbetreiber besprochen.
1. Mangelhafte Leuchtenzuleitung bzw. Leitungseinführung
Bewertungsansätze
Bei dieser (Bild 1) nicht fachgerechten Umsetzung der Leuchtenzuleitung ist, nach DIN VDE 0100-410:2018-10 Abschnitt 412.1 (Schutzmaßnahmen gegen elektrischen Schlag), die doppelte Isolierung der Leitung nicht mehr durchgängig gegeben. In der Regel wird der Schutz durch die Anwendung der Schutzmaßnahme doppelte oder verstärkte Isolierung sichergestellt. Dies ist selbstverständlich in der gezeigten Konstellation nicht mehr gegeben.
Nach DIN VDE 0100-520:2013-06 Abschnitt 521.10 dürfen die hier sichtbaren Aderleitungen (basisisolierte Leiter) nicht Aufputz verlegt werden. Zusätzlich entspricht die Befestigung bzw. Verlegung der Leitung auf den Zwischendecken nicht den Vorgaben nach Abschnitt 522.6.1und Abschnitt 522.8.1 derselben Norm.
Mängelbeseitigung
In diesem Fall wurden nach der Mängeldokumentation die Leuchten und Leuchtenzuleitungen vom Anlagenbetreiber erneuert.
2. Anschluss eines Leitungsschutzschalters (MCB)
Bewertungsansätze
Beim Anschluss des MCB 16A (Bild 2) wurde der falsche Querschnitt gewählt. Somit ist der nach DIN VDE 0100-430:2021-12 Abschnitt 431.5.4 geforderte Kurzschlussschutz der Zuleitung nicht gegeben bzw. ist als nicht korrekt umgesetzt einzustufen.
Mängelbeseitigung
Der Betreiber passte die Aderleitungen in Folge meines Mängelberichts auf einen korrekt bemessenen Leiterquerschnitt von 10 mm² (Cu) an.
3. Unzulässige Verwendung des grün-gelben Leiters
Bewertungsansätze
Auch ein »Klassiker« in meinem Alltag: die grün-gelbe Ader wurde in nicht zulässiger Weise als »geschalteter Leiter« verwendet (Bild 3), was nach DIN VDE 0100-540:2014-10 Abschnitt 514.3.1.Z2 innerhalb eines Zählerverteilers ausgeschlossen ist.
Mängelbeseitigung
In Folge der Mängeldokumentation wurde die Leitungsanlage entsprechend angepasst.
4. Freifliegende Klemmen in der Verteilung
Bewertungsansätze
Nach den Anforderungen der DIN VDE 0660-600-1:2021-10 Abschnitt 8.6.3-8.6.5 oder auch alternativ nach DIN VDE 0100-100:2009-06 Abschnitt 134.1.4 musste die Verwendung der Klemmen (Bild 4), wegen der nicht gegebenen Umsetzung der entsprechenden Herstellervorgaben, von mir bemängelt werden.
Mängelbeseitigung
Die »freifliegenden« Klemmstellen wurden durch ortsfest montierte Reihenklemmen mit einer angepassten Dokumentation und Beschriftung ersetzt.
5. Abzweigdose im Bereich einer PV-Anlage
Bewertungsansätze
Hier haben wir es mit einer normativ nicht korrekten Ausführung einer Klemmverbindung bzw. Montage einer Abzweigdose im Bereich einer PV-Anlage zu tun (Bild 5). Nach DIN VDE 0100-712:2016-10 Abschnitt 712.511.103 gilt dies als unzulässiger Anschluss bzw. unzulässige Installation einer Verbindungsdose im Bereich einer PV-Anlage.
Hinweis: Über den entsprechenden Verweis in DIN VDE 0100-712:2016-10 Abschnitt 712.511.103 ist hier wieder DIN VDE 0660-600-1:2021-10 (z.B. die Abschnitte 8.6.3 – 8.6.5) einschlägig. Zusätzlich wurden die Herstellervorgaben zur Montage der Abzweigdose nicht eingehalten.
Mängelbeseitigung
Nach Übergabe meiner Dokumentation wurden der Anschluss bzw. die Verdrahtung und die Montage der Betriebsmittel fachgerecht ausgeführt.
Grundsätzliche normative Bewertungsmaßstäbe
Für die umgesetzte Überprüfung der elektrischen Anlage, im Rahmen einer Revision der elektrischen Licht- und Kraftanlagen nach den Vorgaben der VDS 2871, lagen nachfolgende Normen und Regeln als Bewertungsmaßstab zugrunde:
- DIN VDE 0100-410
- DIN VDE 0100-430
- DIN VDE 0100-510
- DIN VDE 0100-520
- DIN VDE 0100-540
- DIN VDE 0100-712
- DIN VDE 0105-100
- VDS 2871
- DIN VDE 0660-600-1.
Die Mängeldokumentation und die Bewertung des Anlagenzustandes erfolgte in einer nach den Vorgaben der deutschen Versicherungswirtschaft erstellten Dokumentationsvorlage, die in VDS 2229 aufgeführt ist.
Fazit
Der Beitrag zeigt erweiterte Betrachtungen und fachlich spezielle Anwendungsfälle mit den entsprechenden Kommentaren auf. Damit soll natürlich immer der erforderliche »Brückenschlag« zu den normativen Vorgaben und Anforderungen gewährleistet sein, um dem Anwender auch eine konkrete Umsetzung in der Praxis zu ermöglichen.
Autor
Frank Ziegler, öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger der HWK Stuttgart für das Elektrotechniker-Handwerk und VdS-Sachverständiger zum Prüfen elektrischer Anlagen
Quelle und Bildquelle: www.elektro.net