Praxisfrage

Ein Mehrfamilienhaus mit drei Etagen weist folgende Anlagenkonstellation auf:

  • das Erdgeschoss (EG) war bis vor kurzem bewohnt,
  • das 1. Obergeschoss (OG) ist derzeit, bewohnt (die Bewohner ziehen nach dem Umbau vom 1. Obergeschoss ins Erdgeschoss)
  • das Dachgeschoss (DG) ist nicht bewohnt und war es auch nie (dies wäre künftig aber möglich)
  • der Zählerschrank (aus der 80er Jahren) hat drei Zählerfelder, für: Erdgeschoss (Drehstrom) und für 1. Obergeschoss und Dachgeschoss jeweils Wechselstromzähler (Bild).

Bild: Fotos zur Anfrage

Es gibt keine Unterverteilungen auf den Etagen. Die Verbraucher werden vielmehr direkt aus dem Zählerschrank versorgt – in klassischer Nullung, wie immer bei den alten Bauten. Aktuell wird das Erdgeschoss umgebaut und dazu auf mein Anraten hin auch die Elektroinstallation erneuert. Nun setze ich eine neue, fünfreihige UV und speise diesen aus dem Hauptverteiler mit einer neuen Zuleitung 5 x 10 mm² ein. Da das Haus nur noch von einer Partei bewohnt wird, soll alles über einen Zähler laufen. Also besteht die Aufgabenstellung, die Anlagenteile hinter den alten Wechselstromzählern mit der Anlage des neuen Drehstromzählers zusammenzuführen. Zu meinem Erschrecken waren weder Potentialausgleichsschiene noch Fundament­erder vorhanden. Ich habe draußen einen 12 m langen Erdspieß geschlagen und diesen dann mit 10 mm Rundstahl nach innen auf eine Potentialausgleichsschiene geführt.

Der Hausanschlusskasten müsste m.E nach ebenso erneuert werden. Ich habe dort keine direkte Möglichkeit (bzw. keine Einführung), den neuen Potentialausgleich dort anzuschließen. Auch einen Überspannungsschutz Typ 1 bzw. Kombiableiter (Typ 2 ist in der neuen UV eingeplant) würde ich gerne in den alten Zählerschrank ergänzen. Hierzu müsste ich erstmal prüfen, ob der Anschluss passen würde. Wenn ich dann schon eh dran bin, müsste eigentlich auch ein SLS-Schalter rein usw. Also ich weiß nicht, wo ich da aufhören kann, ohne, dass mir der Betreiber das alles nicht mehr abnimmt.

Option 1: Ich könnte den Zählerschrank so »umbauen«, dass ich das EG mit der neuen Zuleitung versorge (vom Drehstromzähler) und die anderen beiden Geschosse jeweils eine Phase abgreife und einzeln anfahre. Somit hätte ich keine Änderung am Bestand. Die anderen beiden Zähler könnte ich deaktivieren und entsprechend abmelden. Das Problem mit dem HAK bleibt weiterhin vorhanden. Ich könnte aber theoretisch eine neue Leitung 1×16 mm² »sauber reinbasteln«. Also 1×16 mm² vom HAK zur neuen Potentialausgleichsschiene. 1×16 mm² von der Potentialausgleichsschiene zum Zählerschrank und einen Kombiableiter nachrüsten. Ganz sauber wäre die Sache allerdings nicht für mich.

Option 2: Ich würde gerne den ganzen Verteiler rauswerfen und einen neuen nach Stand der Technik installieren. Das Material kostet mich im EK schon knapp 3000 € und ich glaube nicht, dass der Kunde genug Budget dafür übrig hat. Da ja die alte Installation im 1. OG und im DG nicht wirklich angerührt wird (d. h. lediglich abklemmen und auf die gleichen Sicherungen im neuen Zählerschrank wieder anklemmen), dürfte ich bei der Abnahme doch keine Probleme bekommen, da die alte Installation zum damaligen Zeitpunkt der Normen entsprach. Ich erhöhe keine Sicherungsnennwerte oder Sonstiges.
Was meinen Sie, lieber den alten Schrank erst einmal lassen, den Bestand nur mit einer Phase vom Drehstromzähler versorgen und den Umbau des Zählerschranks erst durchführen, wenn das OG auch umgebaut wird? Oder soll ich gleich alles erneuern, auf die Gefahr hin, dass ich ihn später nicht abgenommen bekomme?

Expertenantwort

Hohes Anlagenalter

Ich konnte in den Fotos (Bild) sehen, dass die Zähleranlage 1981 installiert wurde, das Lebenszeitalter ist bei 41 Jahre sehr hoch und für elektrische Bauteile völlig überaltert. Weiterhin konnte ich erkennen, dass die elektrische Anlage bei der oberen PE- und Mp-Schiene gebrückt ist (klassische Nullung). Es sind außerdem noch Leitungsschutzschalter verschiedener Fabrikate, Anschlusstechniken und für eine Betriebsspannung 220V/380V installiert. Zur diesbezüglichen Bewertung werde ich noch unten in meinem Fazit kommen.

Aufbau einer erneuerten Anlage

Sie schreiben in Ihrem Anfragetext, dass Sie eine fünfreihige Unterverteilung für das Erdgeschoss montiert und eine 5 x 10 mm²-Zuleitung verlegt haben. Nach der neuen DIN 18015-1 müssten Sie eine zweite Unterverteilung für die Kommunikation für die Wohnung montieren und nach VDE AR-N 4100 die entsprechenden Kommunikationsleitungen bis zur Zähleranlage verlegen. Für eine zukunftssicher Zuleitung kann ich Ihnen empfehlen 5 x 16 mm² zu verlegen statt 10 mm². Ich verweise hierzu auf DIN VDE 0298-4, Tabelle A.1 oder A.2, wonach der Projekierende selbst auswählen und dementsprechend den Querschnitt bestimmen muss.

Wenn Sie eine Erdungsanlage, z. B. für eine Sat-Anlage, V4A-Stahl-Kamin, Blitzschutzanlage oder einen Betriebserder (z. B. für Kommunikationsanlagen nach DIN VDE 0855-1:2019-02) benötigen, dann müssten Sie eine Erdungsanlage installieren, am besten im äußeren Erdreich (V4A-Bandstahl 30×3,5 mm oder Tiefenerder). Wenn keine Erdungsanlage für das Wohnhaus gebraucht wird, reicht es aus, dass Sie eine Haupt­erdungsschiene (HES) montieren, den Schutzpotentialausgleich errichten und mit mindestens 6 mm² grün-gelber Leitung (z.B. für metallene Rohre wie Frischwasserleitung, Vor-Rücklauf-Heizung) oder für HAK bzw. SPD 1 mindestens 16 mm² (Grobschutz) sowie sonstige Leitungen für den Schutz- oder Funktionspotentialausgleich.

Hausanschlusskasten (HAK), Zählerschrank und Unterverteilung

Ich kann Ihnen empfehlen mit dem Kunden bzw. dem Hauseigentümer und dem zuständigen Netzbetreiber zu sprechen, um unbedingt einen neuen HAK setzen zu lassen. Im Bild ist zu sehen, dass dieser überaltert ist. In diesem Zusammenhang kann der Schutz­potentialausgleichsleiter über eine neue fünfadrige Leitung vom HAK bis zum Zählerschrank neu verlegt und angeschlossen werden.
Der Zählerschrank und die darin enthaltenen Betriebsmittel haben das Lebenszeitalter von über 40 Jahren erreicht. Ein Bestandsschutz kann sowohl aus meiner Sicht als auch der Meinung aus weiten Fachkreisen nicht mehr geltend gemacht werden. Sprechen Sie am besten mit Ihrem Auftraggeber, um die gesamte Zähleranlage neu zu installieren. Ein neuer Zählerschrank sollte mit neuen Betriebsmitteln bestückt werden, sodass er VDE-AR-N 4100:2019-04 entspricht. Wenn die Zuleitung zur Unterverteilung nicht länger als 10,0 m ist, bräuchten Sie keine SPD Typ 2 (Mittelschutz) darin zu installieren.
Ich glaube nicht, dass Ihr Netz- oder Messstellenbetreiber (MSB) solche Anpassungen im alten Zählerschrank zulässt, wie Sie es vorschlagen. Bitte vereinbaren Sie einen gemeinsamen Ortstermin mit allen Beteiligten, d. h. Kunde, Hauseigentümer, Netzbetreiber und MSB. Hier können Sie die Angelegenheit besprechen und das Fazit protokolieren. Dann müssten schon gute Argumente seitens der Beteiligten da sein, um diese alte Zähleranlage im sicheren Betrieb zu betreiben.

Fazit

Ich kann Ihnen nur empfehlen, nicht zu basteln. Sie sollten fachgerecht und ausschließlich nach den geltenden anerkannten Regeln der Technik installieren. Hier sind die aktuellen DIN-VDE-Regelwerke und dabei insbesondere die VDE-AR-N 4100:2019-04 sowie die örtlichen technischen Anschlussbedingungen (TAB) zu beachten. In Ihrem Falle sollten Sie zunächst den Ist-Zustand der elektrischen Anlage schriftlich festhalten. Dann wäre ein Soll-Zustand zu definieren, auf dessen Basis Sie einen Kostenvoranschlag oder ein Angebot für die Sanierung der Elektroanlage mit Zähleranlage erstellen können. Mit Ihrem Kunden sollten Sie ein Fachgespräch führen, in dem Sie ihm dieses Angebot erläutern. An diese Stelle gehören Hinweise auf den sicheren Betrieb der elektrischen sowie der Überprüfung der elektrischen Anlage gemäß Niederspannungsanschlussverordnung (NAV) § 13 und § 15, DIN VDE 0105-100, Abs. 4.1., sowie EnWG §49. Wenn das Budget des Kunden dafür nicht ausreicht, sollten Sie erst gar nicht anfangen, alte elektrische Anlage anzupassen.

Aus meiner Erfahrung kommen dann im Fehlerfalle die Probleme erst recht auf Sie zu. Denken Sie daran, dass Sie die verantwort­liche Elektrofachkraft sind. Lassen Sie also bitte solche Sachen nicht zu. Ihr Kunde bzw. der Hauseigentümer muss in die alte elektrische Anlage für den sicheren Betrieb investieren. Das kann natürlich in mehreren Schritten erfolgen, z. B. über ein bis zwei Jahre. Das »Herz« der Elektroanlage eines Hauses, egal ob Ein- oder Mehrfamilienhaus, ist nun einmal die Zähleranlage. Daher sollte auch diese zuerst auf den neusten technischen Stand gebracht werden. Die notwendigen Elektro­sanierungen können danach in den anderen Etagen durchgeführt werden. Zu alledem gehören auch eine gute Projektierung, Organisation, Ausführungszeichnungen und ein Zeitplan dazu. In Letzterem sollte festgehalten sein, wie die Elektroanlage in Teil­abschnitten saniert werden kann.

Autor

Hans-Josef Tonnellier, ö. b. u. v. Sachverständiger im Elektrotechniker-Handwerk HWK des Saarlandes

 

Quelle und Bildquelle: www.elektro.net