Schutzmaßnahmen nach DIN VDE 0100-420 und -530: Störlichtbögen können den Weiterbetrieb von Leistungsabnehmern einschränken und so immense ­Folgekosten nach sich ziehen. Bei Menschen kann eine unmittelbare Einwirkung unter anderem schwere Verbrennungen oder Verletzungen durch umherfliegende Anlagenteile verursachen. Der folgende Beitrag zeigt unter Berücksichtigung der aktuellen Normenlage auf, welche Schutzmaßnahmen für einen sicheren Betrieb und eine hohe Anlagenverfügbarkeit zu ergreifen sind.

Laut der Berufsgenossenschaft Energie Textil Elektro Medienerzeugnisse (BG ETEM) ­haben sich in Deutschland im Meldejahr 2018 insgesamt 636 meldepflichtige Strom­unfälle ereignet. Als potenzielle Gefahren für den Menschen sind hierbei in erster Linie die Körperdurchströmung sowie Gefährdungen durch Störlichtbögen zu nennen. Der Anteil der Stromunfälle mit Störlichtbögen liegt zwar bei relativ geringen 5…6 %. Die Auswirkungen solcher Unfälle können jedoch verheerend sein, da bei Störlichtbögen unter anderem enorme Temperaturspitzen sowie heftige Explosionen auftreten können (Bild 1).

Bild 1: Wenn wie hier kein aktiver Störlichtbogenschutz vorhanden ist, sind die Folgen oft erheblich; Quelle: Hager

Ursachen für das Auftreten von Störlichtbögen

Die häufigsten Ursachen für das Auftreten von Störlichtbögen lassen sich in drei Kategorien einteilen:

  • Montagemängel einschließlich Wartungs- und Inspektionsfehlern bei Arbeiten an Strom führenden Teilen sowie das banale Vergessen von Werkzeug oder Arbeits­materialien in Schaltanlagen.
  • Betriebsbedingte Fehler wie Überspannungen, mangelhafte Isolationen, schlechte Kontaktierungen, unzureichende Dimen­sionierung oder eine zu hohe Packungsdichte eingebauter Geräte. Aber auch Verschmutzungen oder die Entstehung von Kondenswasser fallen in diesen Bereich.
  • Als dritte Kategorie sind schließlich noch Nagetierverbisse statistisch erfasst.

Technische Definition des S­törlichtbogens

Bei einem Lichtbogen handelt es sich um ­eine elektrische Gasentladung mit hohem Strom zwischen zwei Elektroden, die sich mit einer Geschwindigkeit von 100 m/s in Stromrichtung fortbewegt. Dabei bildet sich zwischen zwei aktiven Leitern oder einem aktiven und einem passiven Leiter ein elektrisch leitfähiges Plasma, dessen Temperatur bis zu 20 000 °C betragen kann. Tritt dieser Lichtbogen nicht betriebsmäßig, sondern durch eine Störung auf, spricht man von einem Störlichtbogen.

Durch die hohe Temperatur kommt es zu einer explosionsartigen Druckerhöhung von bis zu 2 bar. Das entspricht dem Gewicht von 20 000 kg/m² und ist mit den Auswirkungen einer Bombe zu vergleichen. Bei Menschen kann es dadurch zu schweren Verbrennungen, zu Schädigungen des Augenlichtes durch den Lichtblitz, zur Beeinträchtigung des Hörvermögens durch den Detonationsknall sowie zu Verletzungen durch wegfliegende Anlagenteile kommen. Zudem drohen Vergiftungen durch das Entstehen von ­gesundheitsschädlichen Gasen und Metalldämpfen. Ein vornehmliches Ziel des Störlichtbogenschutzes ist daher die Personen­sicherheit.

Neben der Personensicherheit zielen die zu ergreifenden Schutzmaßnahmen auf den Erhalt der Funktionsfähigkeit einer Anlage ab. Denn rund 40 % der Störlichtbogenun­fälle führen zu Schäden an der Anlage und in der Folge zu kostenintensiven Produktions- und Serviceausfällen.

Normativ geregelte Schutzvorkehrungen

Die Effizienz eines Störlichtbogen-Schutzsystems wird in erster Linie durch die Begrenzung der Einwirkdauer des Lichtbogens bestimmt: Beträgt die Abschaltzeit einer Anlage mehr als 20ms, kann man von einem hohen Schaden ausgehen; liegt sie jedoch unter 5ms, ist nur mit geringen Schäden zu rechnen. Die aktuelle Norm DIN VDE 0100 zum »Errichten von Niederspannungsanlagen« weist daher in ihren Teilen -420 (Schutz ­gegen thermische Auswirkungen) und -530 (Auswahl und Errichtung elektrischer Betriebsmittel) konkret auf Maßnahmen zur ­Löschung eines Lichtbogens innerhalb von 5ms sowie zur nachgelagerten sicheren Abschaltung der Versorgungsanlage hin.

Unter Teil -421.3 heißt es zu Störlicht­bogenschutzeinrichtungen: »Schutzeinrichtungen zum Schutz bei Auftreten von Lichtbögen sollten installiert werden, wenn von der elektrischen Anlage hohe Anforder­ungen an die Verfügbarkeit erwartet werden. Solche Schutzeinrichtungen müssen die Lichtleistung des Lichtbogens und den ­Anstieg des Stromes in den Außenleitern erkennen. Ferner müssen sie den Licht­bogen innerhalb von 5 ms ­löschen und die elektrische Anlage von der Versorgung abschalten. … Langsam reagierende Schutzeinrichtungen können die Beschädigung von Gütern nicht verhindern, wodurch eine Wiederinbetriebnahme der elektrischen Anlage innerhalb kurzer Zeit unmöglich werden kann.«

In Teil -532.6 sind ebenfalls klare Empfehlungen zum Einsatz von Störlichtbogenschutzeinrichtungen und zu Einrichtungen für die Lichtbogenerkennung und die Abschaltung aufgenommen. Hinsichtlich von Einrichtungen zum Brandschutz und zum Schutz gegen thermische Einflüsse heißt es: »Ist in elektrischen Anlagen mit Störlichtbögen zu rechnen und bestehen besondere Brandschutzerfordernisse und / oder besondere Verfügbarkeitserfordernisse, sollten Schutzeinrichtungen ausgewählt werden, die bei Eintritt eines Störlichtbogens innerhalb kürzester Zeit die Löschung des Störlichtbogens einleiten und gleichzeitig die Fehlerstelle vom Netz trennen

Beide Normen sprechen sich damit für den Einsatz sogenannter aktiver Störlichtbogenschutzsysteme aus. Denn generell sind zwei Arten des Störlichtbogenschutzes möglich: der aktive und der passive.

Passive Schutzmaßnahmen

Der passive Schutz soll die Entstehung eines Lichtbogens verhindern, beziehungsweise die Wahrscheinlichkeit der Entstehung eines Störlichtbogens reduzieren. Als Schutzeinrichtungen werden hierbei beispielsweise Isolationsplatten eingesetzt. Tritt ein Störlichtbogen auf, soll dieser durch geeignete Maßnahmen auf den Entstehungsort begrenzt bleiben und benachbarte Funktionseinheiten und Räume einer Schaltanlage nicht beeinträchtigen. Oberstes Schutzziel bei der Planung und Projektierung einer Schaltanlage ist es daher, die Entstehung und das unkontrollierte Ausbreiten von Störlichtbögen zu verhindern.

Bei passiven Störlichtbogenschutzsystemen stellt in der Planungs- und Projektierungsphase bereits die Wahl der inneren Unterteilung (Bauform 1, 2b und 4) bei der Auslegung der Anlage einen Anlagenschutz dar, da so innerhalb der Funktionsräume (Sammelschienenraum, Geräteraum und Kabel­anschlussraum) das Eindringen fester Fremdkörper verhindert wird. Damit wird die Wahrscheinlichkeit der Entstehung eines Störlichtbogens begrenzt und ein Ausbreiten in be­nachbarte Funktionseinheiten verhindert. Aber auch die geeignete ­Auswahl der Geräte bzw. der Kurzschluss-Schutzeinrichtung kann die ­Folgen ­eines Störlichtbogens begrenzen. So können Leistungsschalter mit Nennströmen von ≥ 630 A in weniger als 30 ms abschalten. Sinnvoll ist auch der Einsatz strombegrenzender Sicherungen, die ebenfalls schnell reagieren und so mögliche Folgen mindern.

Sonderprüfung für passive Schutzsysteme

Eine zusätzliche Sicherheit passiver Schutzsysteme im Bereich von Niederspannungsanlagen wird durch das Absolvieren einer Sonderprüfung unter Störlichtbogenbedingungen nach IEC 61641 bzw. VDE 61439-2 Beiblatt 1 dokumentiert. Im Bereich des Personenschutzes sind hierbei insgesamt fünf Kriterien zu erfüllen. So dürfen sich gesicherte Türen oder Abdeckungen beim Auftreten eines Störlichtbogens nicht öffnen und Teile, die eine Gefährdung verursachen könnten, dürfen nicht wegfliegen. Außerdem dürfen in der äußeren Umhüllung keine ­Löcher entstehen, vertikal vor der Anlage angebrachte Indikatoren dürfen sich nicht entzünden und der Schutzleiterstromkreis für berührbare Teile der Umhüllung muss nach der Prüfung noch funktionsfähig sein.

Beim Anlagenschutz ist nachzuweisen, dass der Störlichtbogen im definierten Bereich – also beispielsweise in einem Feld oder Fach – verbleibt und dass keine Neuzündung in den angrenzenden Bereichen erfolgt. Sinnvollerweise wird dazu die Form 2-4 der inneren Unterteilung zur Definition der Bereiche genutzt. Zudem wird geprüft, ob nach der Störungsbeseitigung beziehungsweise dem Abtrennen des definierten Bereichs ein Notbetrieb möglich ist. Diese ­hohen Sicherheitsanforderungen an den passiven Störlichtbogenschutz durch eine klare Raumaufteilung und innere Barrieren erfüllt beispielsweise das System »unimes H« von Hager.

Aktive Störlichtbogenschutzsysteme

Bild 2: Ein aktiver Störlichtbogenschutz schaltet den Fehler in 2 bis 3 ms ab; Quelle: Hager

Wie bereits ausgeführt, wird die Effizienz eines Störlichtbogen-Schutzsystems vornehmlich durch die Begrenzung der Einwirkdauer des Lichtbogens bestimmt: Um schwere Schäden zu vermeiden, muss diese unter 5 ms liegen. Dieses Ziel ist nur mit einem ­aktiven Störlichtbogenschutzsystem zu erreichen, das die notwendige, minimale Abschaltzeit einer Schaltanlage durch die äußerst ­kurze Detektions- und darauffolgende Reaktionszeit beim Auftreten eines Störlichtbogens gewährleistet. Solche Systeme wie beispiels­weise der aktive Störlichtschutz von Hager sind nach IEC/TR 61641 geprüft und entsprechen damit der DIN EN 61439-2 Beiblatt 1.

Das genannte Schutzsystem besteht aus fünf aufeinander abgestimmten Komponenten, die beim Auftreten eines Störlichtbogens die Schaltanlage zuverlässig abschalten: Lichtwellenleiter beziehungsweise Punktsensoren erfassen als erste Detektionsstufe den Lichtbogen. Gleichzeitig erkennen speziell konstruierte Schutzwandler für Eingangsströme von bis zu 65 kA den rasanten Anstieg der Stromstärke. Beide Signale werden an das Erfassungsgerät weitergeleitet. Dieses steuert Kurzschließer an, die auf jeder ­Sammelschiene montiert sind. Die Kurzschließer schließen die Haupt-Sammelschienen 3-phasig kurz. Dieser Vorgang dauert etwa 3 ms. Ein offener Leistungsschalter kann den Kurzschluss schon nach 30 bis 50 ms ­abschalten, so dass kein Folgeschaden entstehen kann. Im Idealfall kann die Anlage nach der Fehlerbehebung innerhalb von ­einer halben Stunde wieder in Betrieb genommen werden.

Während der passive Störlichtschutz »erst« nach etwa 100 ms greift, reagiert ein aktiver Störlichtschutz bereits nach 2 bis 3 ms (Bild 2). Deshalb werden solche Systeme in vielen Ausschreibungstexten für Rechenzentren, Intensivstationen, in Industrieanlagen oder öffentlichen Einrichtungen gefordert, da diese auf eine ununterbrochene Stromversorgung angewiesen sind.

Autor

Dipl.-Ing. Günter Waschbüsch, Markt Manager Energieverteilung und Zählerplätze, Hager Vertriebsgesellschaft mbH & Co. KG

Quelle: www.elektro.net