Praxisfrage

In unserer Gemeinde sollen 14 Feuerwehr­sirenen von analogen Funkschaltempfänger in die digitale Umgebung der BOS-Alarmierung umgerüstet werden. Die Forderung der Installationsfirma ist hierzu eine 6-A-Sicherung und ein Potentialausgleich von 6 mm², welche bauseits VDE-konform bereitzustellen sind. Leichter gesagt wie als getan. Nach Besichtigung von mehreren Anlagen wurden mir einige Fragen aufgeworfen. Wir haben überall ein TT-System. Die Sirenensteuerungen sind direkt an einem separaten Hausanschlusskasten (HAK) mit NH 3 x 25 A ohne weiterer Schutzeinrichtung angeschlossen, was eine Nullung darstellt. Auch einen Zähler gibt es nicht. Der N im HAK weist eine blaue Ader auf, die Farbe der Außenleiterisolierungen ist – wie bekannt – zweimal Schwarz und einmal Braun. Ein PEN-Leiter sollte aber gelb/grün gekennzeichnet sein.

Wenn ich nun einen LS-Automat bzw. eine Schraubsicherung dazu bauen würde, greife ich in die Anlage ein, sodass der »Stand der Technik« erlischt, wie man dazu sagt. Ist das richtig? Ist es ggf. das eigentliche Problem, dass diese Anlage bestimmt vor 1973 installiert worden ist? Muss hier diese ganze Anlage dann über eine RCD geschützt werden – etwa aus brandschutztechnischen Aspekten, da die Leitungen zu den Sirenen großteils über Dachböden auf Holzsparren verlegt sind? Manche Empfangseinrichtungen sind auch nur auf Holzplatten im Dachboden montiert. An manchen Sirenen fehlt der äußere Blitzschutz komplett. Bei manchen Blitzschutzanlagen gibt es nur eine Fangstange, welches dann ja auch nachgerüstet werden müsste, oder? Eine weitere Problematik stellt auch noch die Ausfall­sicherheit dar, da im Falle der Verwendung einer RCD es nicht gleich jemand mit­bekäme, wenn dieser ausgelöst hätte, z.B. bei einem Gewitter.

Expertenantwort

Einiges in der Anfrage bleibt leider unklar bzw. zweideutig. Im Folgenden versuche ich so ausführlich wie möglich meine Sicht der Dinge darzulegen. Es ist davon die Rede, dass überall ein TT-System vorliegt. Aber direkt danach wird gesagt, dass der Anschluss der Sirenensteuerung bislang »ohne Schutzeinrichtung« erfolgt, was im Anfragetext als »Nullung« bezeichnet wird.

Begriffe aus dem Jahr 1957

Der Begriff »Nullung« kommt in aktuellen VDE nicht mehr vor. In den ersten Jahrzehnten nach dem zweiten Weltkrieg bezeichnete man mit Nullung eine damals allgemein anerkannte Schutzmaßnahme. Prof. Dr. Hans Fritz Schwenkhagen schrieb 1957 in seinem Buch »Gefahrenschutz in elektrischen Anlagen« im Abschnitt 6.122.2: »Ebenso wie bei der Schutzerdung bedient man sich auch bei der Nullung eines Schutzleiters – er wird in diesem Fall als ,Nullungsleiter‘ bezeichnet –, um zu verhindern, dass gefährliche Berührungsspannungen bestehen bleiben. Er verbindet die zu schützenden Gehäuse mit einem der betriebsmäßigen Leiter des Netzes. Dieser muss in diesem Fall stets geerdet sein und wird dann in den VDE-Bestimmungen als ,Nulleiter‘ bezeichnet.«

Nullleiter – ein veralteter Begriff

Im Prinzip verwendete man in der elektrischen Anlage zu diesem Zweck den Null­leiter des Netzes, der im Prinzip unserem Neutralleiter entspricht (Bild 1). In Schutzkontaktsteckdosen brückte man beispielsweise zu diesem Zweck den Anschlusspunkt des Nullleiters mit dem Anschlusspunkt des Schutzkontaktes. Das bedeutet, dass man nach heutigem Sprachgebrauch – den es jedoch damals so nicht gab – den Nullleiter als PEN-Leiter verwendete. Dieser Nullleiter übernahm eine Schutzleiterfunktion und war zugleich auch ein aktiver Leiter des Netzsystems.

Bild 1: Historische Darstellung der Schutzmaßnahme »Nullung« Legende: S – Sicherungen; RB – Betriebserder des Nullleiters; K – Körper des angeschlossenen Verbrauchers

Dies wird oft als die »Klassische Nullung« bezeichnet. Sie entspricht nach der aktuellen Normung einem »TN-C-System«, obwohl dies aktuell mit Bedingungen verbunden ist, die es früher nicht gab (z. B. den Mindestquerschnitt des PEN-Leiters von 10 mm2 Cu). Wollte man unter diesen Bedingungen die Doppelfunktion des Nulleiters vermeiden, so sah man einen separaten Schutzleiter vor. Dies wurde dann oft auch bezeichnet als

  • Nullung mit besonderem Schutzleiter,
  • stromlose Nullung oder
  • moderne Nullung.

Aus heutiger Sicht entspräche das einem TN-S-System.

Interpretation der Fragestellung

Bild 2: Bild zur Leserfrage – den Hinweisen nach geht es hier um den Hausanschlusskasten (rechts) und um den Abgang mit Anschlussklemmkasten zur Sirenensteuerung (links)

Da es um eine alte Anlage geht, wird in Ihrer Anfrage vermutlich die »Klassische Nullung« gemeint sein. Irreführend ist allerdings der Hinweis in der Anfrage: »(…) ohne weiterer Schutzeinrichtung angeschlossen«. Möglicherweise wollten Sie damit sagen, dass es keinen separaten Schutzleiter gibt, denn andernfalls macht dieser Hinweis keinen Sinn.

Außerdem irritiert mich Ihre Aussage, dass die elektrische Anlage im Gebäude als TT-System ausgeführt wurde. Also um ein Netzsystem, bei dem es

  • einen aktiven Neutralleiter gibt, der (nach aktuell gültiger Norm) keine Schutzfunktion übernehmen soll, und
  • einen Anlagenerder, der keine direkte leitfähige Verbindung zum Betriebserder des Netzsystems hat.

Mit dem Anlagenerder werden sämtliche zu schützende Körper der angeschlossenen Betriebsmittel über einen Schutzleiter verbunden. Dann stellt sich jedoch die Frage, wo der Schutzleiter des TT-Systems ist.

Im Anfragebild (Bild 2) ist weder eine Haupterdungsschiene noch ein Schutzleiter (PE) zu sehen, wie dies in DIN VDE 0100-410, Abschnitt 411.1, 411.3.1.2 gefordert wird. Stattdessen wird im Anschlusskasten für die Sirenensteuerung (links im Bild 2), soweit es dem Bild zu entnehmen ist, in der rechten Durchgangsklemme unten ein grün-gelber Leiter (vom Hausanschlusskasten kommend) angeschlossen, der jedoch oben mit einem grauen Leiter weitergeführt wird. Das verwirrt schon sehr und lässt vermuten, dass hier mit den Jahren möglicherweise Netzsysteme vermischt wurden. Die Anlage ist in diesem Zustand nicht in einem normgerechten Zustand. Das hat auch nichts mit Bestandsschutz zu tun. Ein Mangel ist immer ein Mangel. Er muss beseitigt werden, ganz gleich, wie lange er bereits besteht. So wie sich die Anlage nach der Beschreibung sowie nach den angefügten Bildern darstellt, befindet sie sich keinesfalls in einem Zustand, der dem »Stand der Technik« entsprechen würde. Ob der irgendwann einmal vorlag, kann im jetzigen Zustand kaum noch bewertet werden.

Fazit

Geht man davon aus, dass in der alten Installation der Signalsteuerung die alte Nullung vorgesehen wurde, so würde eine Änderung, wie sie in der Anfrage beschrieben wird, nur möglich, wenn das gesamte Schutzkonzept nach den aktuell gültigen Normen ausgeführt wird. Alle Anlagenteile mit dem Schutzgrad I sind selbstverständlich mit dem Schutzleiter des vorhandenen TT-Systems zu verbinden. Eine Alternative dazu wäre, dass sie eine eigenständige Erdverbindung erhalten. Üblicherweise ist im Außenbereich nach Normen der Reihe DIN EN 62305 mindestens eine Anbindung an den Blitzschutz-Potentialausgleich notwendig. Daher rührt wahrscheinlich die Forderung nach einem Potentialausgleichsleiter mit einem Querschnitt von mindestens 6 mm².

Autor

Dipl.-Ing. Herbert Schmolke, Jahrelange Tätigkeit in einem größeren Planungsbüro für Großindustrieplanung und Sonderbau;  Einsatz bei VdS Schadenverhütung, Köln. Dort zuständig für die Anerkennung von Experten auf dem Gebiet der Elektrotechnik. Mitarbeit in zahlreichen Normungsgremien und DKE-Arbeitskreisen.

Quelle und Bildquelle: www.elektro.net