Praxisanfrage

Ich wurde beauftragt, einige zusätzliche Arbeiten in ihrem neu errichteten Fertigholzhaus zu erledigen. Hierzu habe ich mir zunächst einen Überblick über die Elektroinstallation verschafft. Im Verteilerschrank habe ich eine seltsam anmutende Installation vorgefunden (Bild).

Foto zur Anfrage

Es wurden drei AFDDs (mit RCD C 40 / 0,03 A) verwendet. Jeder davon wurde vom ausführenden Installateur mit einem Außenleiter verbunden. Nachfolgend wurden MCB B16A für die einzelnen Stromkreise eingesetzt. M. E. ist die Installation eines LS/FI als »RCD-Ersatz« vor Sicherungen nicht zulässig. Schon die Selektivität der Anlage ist hier nicht gewährleistet.

Des Weiteren bin ich mir nicht sicher, ob ein serieller Fehler durch den vorgeschalteten AFDD richtig angezeigt wird, vor allem auch in der entsprechenden Zeit. Die AFDD ist ja als 40 A-Sicherung ausgelegt. Könnte Sie hierzu Stellung nehmen?

Expertenantwort

Bezüglich der Anfrage müssen zwei Probleme betrachtet werden. Einmal die vorgefundenen »übergeordneten« Brandschutzschalter im Verteiler, normativ als Fehlerlichtbogen-Schutzeinrichtungen (AFDDs) bezeichnet. Zum anderen Ihr angefragter Punkt: »LS/FI als ‚RCD-Ersatz‘ vor Sicherungen«.

Übergeordneter Brandschutzschalter

In Bezug auf übergeordnete Brandschutzschalter gibt es auf der DKE-Homepage ein FAQ-Liste mit folgendem Titel: »Erläuterungen anlässlich der Veröffentlichung von DIN VDE 0100-420:2022-06; Abschnitt 421.7 ‚Schutz gegen die Auswirkungen von Fehlerlichtbögen in Endstromkreisen‘«. Der Link hierzu lautet: www.dke.de/de/arbeitsfelder/core-safety/normenhinweise/faq-liste-zur-din-vde-0100-420.

In dieser FAQ-Liste wird unter (11) die Frage eindeutig mit »unzulässig« beantwortet, siehe folgenden Auszug aus der FAQ-Liste:

»(11) Kann ein Fehlerlichtbogenschutz für mehrere Endstromkreise auch durch den Einsatz eines AFDDs im Verteilungsstromkreis sichergestellt werden?

Fehlerlichtbogen-Schutzeinrichtungen (AFDDs) müssen der Produktnorm DIN EN 62606 (VDE 0665-10) entsprechen.

Fehlerlichtbogen-Schutzeinrichtungen (AFDDs) sind in dem Stromkreis zu installieren, der dafür vorgesehen ist, elektrische Verbrauchsmittel oder Steckdosen unmittelbar mit Strom zu versorgen (Endstromkreis). Die Schutzfunktion ist bei dem Einsatz einer Fehlerlichtbogen-Schutzeinrichtung (AFDD) im Verteilungsstromkreis, der mehrere Endstromkreise versorgt, nicht sichergestellt.

Für einen wirksamen Einsatz von AFDDs ist es erforderlich, dass die Auswerteelektronik zuverlässig einen Fehlerlichtbogen anhand des typischen Frequenzaufkommens erkennen kann.
Sind Installationshinweise von Herstellern verfügbar, sind diese einzuhalten.

Somit ist der Einsatz eines AFDD in Verteilungsstromkreisen aus heutiger Sicht keine wirksame Umsetzung eines notwendigen Schutzes gegen die Auswirkung von Fehlerlichtbögen in Endstromkreisen nach DIN VDE 0100-420.«

Weitere entsprechende Hinweise gibt es auch im Abschnitt 421.7 von DIN VDE 0100-420:2022-06, wo Folgendes festgelegt ist: »Werden Fehlerlicht­bogen-Schutz­einrichtungen­ (AFDDs) verwendet, sind diese am Anfang des zu schützenden Stromkreises zu installieren.« Es ist also immer nur von einem Stromkreis die Rede.

RCBO – Fehlerstrom-Schutzeinrichtung mit eingebauten Überlastschutz

Sie sprechen in Ihrer Anfrage von Installation einer LS/FI als »RCD-Ersatz« vor Sicherungen. Ich gehe davon aus, dass Sie hierbei die Konfiguration allgemein meinen– d. h. eine Betrachtung ohne den Sonderfall in Kombination mit der AFDD. Eine »Dreierkombination« AFDD/FI/LS schließt sich aus o.g. Gründen aus. Somit sei hier nur das Thema betrachtet: FI/LS als RCD-Ersatz vor Sicherungen – bei Ihnen als Anordnung vor Abgangs-Leitungsschutzschaltern bezeichnet. Ich hoffe, dass ich damit Ihre Frage richtig verstanden habe.

Wenn man nur den LS/FI – oder wie er normativ bezeichnet wird »RCBO« (Fehlerstrom-Schutzeinrichtung mit eingebauten Überlastschutz) – betrachtet, dann besteht bei dieser Einrichtung der wesentliche Vorteil, dass weder vor noch hinter dem RCBO eine Überstrom-Schutzeinrichtung zum Schutz der FI/LS notwendig ist. Dies ist unabhängig davon, wie viele abgehende Stromkreise mit ihren eigenen Überstrom-Schutzeinrichtungen dahinter angeschlossen sind. Bei dem in der Hausinstallation üblicherweise geforderten Kurzschlussausschaltvermögen von 6 kA ist der RCBO selbst ausreichend bei Überlast und Kurzschluss geschützt. Derartige RCBOs weisen ein Kurzschlussausschaltvermögen von mindestens 6 kA oder größer auf.

Ob eine solche Ausführung mit mehreren Stromkreisen bzw. Leitungsschutzschaltern hinter einer RCBO aus Verfügbarkeitsgründen sinnvoll ist, hängt ein wenig von der Zuordnung der Stromkreise ab. Man sollte die Verfügbarkeit nicht außer Acht lassen, so wie auch im Abschnitt 314.1 von DIN VDE 0100-100:2009-06 vorgegeben.

Lässt man die vorgefundene Konfiguration AFDD / FI / LS außer Acht, dann steht aber außer Frage, dass durch drei RCBOs (einer pro Außenleiter) die Anforderung von Abschnitt 314.1 von DIN VDE 0100-100: 2009-06 bedingt erfüllbar ist. Demzufolge dürfen mehrere Stromkreise bzw. Überstromschutzeinrichtungen dahinter angeschlossen sein, auch wenn dabei z. B. die 40 A des RCBOs Ihres Beispiels überschritten werden würden.

Verwendung der vorhandenen AFDDs in Kombination mit FI/LS

Die vorhandenen Kombinationen AFDD mit FI/LS könnten rein theoretisch für jeweils einem Endstromkreis verwendet werden. Das wäre aber nicht sinnvoll, da hinter dieser Kombination noch eine dem Querschnitt zugeordnete Überstrom-Schutzeinrichtung für diesem Abgang notwendig wäre.

Fazit

Nach derzeitigem Normenstand müssten die »übergeordneten« AFDDs aus der Verteilung entfernt werden. Es müssten diejenigen Endstromkreise, die im Abschnitt 421.7 von DIN VDE 0100-420:2022-06 angeführt sind, einzeln mit einem AFDD, zusätzlich mit einzelnen FI/LS oder beides in Kombination (AFDD mit FI/LS) geschützt werden. Unter Umständen dürfte ja auch auf AFDDs verzichtet werden, wenn sich dies, durch die notwendige Risiko- und Sicherheitsbewertung ergeben sollte, bzw. andere Maßnahmen vorgenommen werden können (z. B. geeignete bauliche, anlagentechnische oder organisatorische Maßnahmen).

Von meiner Seite wurde außerdem die Frage an die DKE-Verantwortlichen gestellt, wo denn der Unterschied liegt zwischen einem Stromkreis, aber mit weit verzweigten Steckdosenkreisen und dem Schutz mehrerer Stromkreise hinter einer AFDD. Sobald ich diesbezüglich eine Antwort habe, wird es in »de« eine entsprechende Veröffentlichung geben.

Autor

Werner Hörmann, gelernter Starkstrommonteur und dann viele Jahre als Projektant für Schaltan­lagen und Steuerungen bei Siemens tätig. Aktive Normung in verschiedenen Komitees und Unterkomitees der DKE

Quelle und Bildquelle: www.elektro.net