Die Strompreise haben sich in den vergangenen Jahren vervielfacht. Gerade industrielle Verbraucher stellt diese Dynamik vor enorme Herausforderungen. Sie müssen nicht nur kosteneffizient arbeiten, sondern auch ihre Energieversorgung zu jeder Zeit sicherstellen – und das bei zunehmendem Einsatz von volatilen Energiequellen wie Wind und Sonne.

Bild 1: Die Flexibilisierung der Energieinfrastruktur durch ein systematisches Gebäude-, Energie- und Lastmanagement wirkt der starken Volatilität am Markt entgegen und kann diese sogar zu einem Vorteil machen; Quelle: Siemens AG

Die Lösung lautet: Flexibilisierung der Energiesysteme. Lastmanagement, regelbare Erzeuger oder die Nutzung von Speichern sind schnell umsetzbare Möglichkeiten, die Versorgung sicherzustellen (Bild 1).

Wer die Auswirkungen der steigenden Energiepreise für industrielle Verbraucher jeder Größe verstehen will, muss sich nur die Bedeutung des sogenannten »Day-Ahead«-Handels vor Augen führen, also des Handels von Strom für den folgenden Tag.

Grundsatz der Strompreisbildung ist dabei die »Merit-Order«: Das zu einer gegebenen Zeit teuerste Kraftwerk ist preisbestimmend für alle anderen Kraftwerke. Dominieren die erneuerbaren Energien, ist der Strom also günstiger als an Tagen, an denen viele Gaskraftwerke zu höheren Stromgestehungskosten produzieren. Künftige Entwicklungen wie auslaufende Atom- und Kohlekraftwerke oder mehr Gas und Wasserstoff als Energiequellen werden die Situation noch verstärken. Die Folge ist eine strukturell hohe Volatilität auf dem Strommarkt, wie sie unter der aktuellen Situation bereits zu erleben ist. Noch bis 2021 war an der Strombörse mit täglichen Preisschwankungen von nicht mehr als 2 Cent bis 3 Cent pro kWh zu rechnen. In Zukunft werden Tagespreise um bis zu 30 Cent pro kWh schwanken.

Was können Großverbraucher also tun, wenn der Strom teuer ist, sobald Wolken am Himmel erscheinen und Windstille herrscht? Die Antwort lautet, den Verbrauch ebenso dynamisch zu gestalten: Die Produktion muss flexibilisiert werden, damit Kostenvorteile bestmöglich ausgeschöpft werden können.

Flexibler Energieverbrauch bringt Vorteile

Bild 2: Die Anpassung von Erzeugung und Verbrauch mit »Day-Ahead«-Optimierung ermöglicht einen kosteneffizienten Betrieb – ohne manuellen Aufwand für Verbraucher; Quelle: Siemens AG

Mit grüner Mobilität, Wärme- und Wasserstoffversorgung, ganzheitlicher Energie- und Medienversorgung sowie gewerkeübergreifender Energieeffizienz bietet Siemens industriellen Verbrauchern Lösungen für viele aktuelle Herausforderungen. Auch die Flexibilisierung der Energieinfrastruktur mit Hilfe des ganzheitlichen Gebäude-, Energie- und Lastmanagementsystems »Desigo CC« ist Teil dieses Angebots. Unternehmen, die das Managementsystem einsetzen, wirken der starken Volatilität am Markt entgegen und können diese sogar zu einem Vorteil machen. Zwei Ansätze stehen dabei im Mittelpunkt: die »Day-Ahead«-Optimierung und die Flexibilitätsvermarktung.

Bei der »Day-Ahead«-Optimierung wird die Gelegenheit genutzt, dass viele Energielieferverträge einen Zugang zu den Spotmarktpreisen beinhalten. Die verbrauchten Gas- und Strommengen werden zumindest teilweise zu den Spotpreisen abgerechnet. Anlagen können grundsätzlich so betrieben werden, dass zu Zeiten hoher Preise weniger Strom und Gas verbraucht wird, bei niedrigen Preisen hingegen die Produktion und der Verbrauch entsprechend erhöht werden (Bild 2).

Bild 3: Vollautomatisierte Kostenoptimierung durch das Zusammenspiel aller Anlagen: Zu sonnenreichen Zeiten am Tag wird mit einer Wärmepumpe geheizt, in den Nachtstunden bei hohen Strompreisen am Energiemarkt mit einem Heizkessel; Quelle: Siemens AG

Zu dieser Optimierung wird ein Algorithmus eingesetzt, der einerseits kunden-, standort- und anlagenspezifische Daten abgreift und andererseits die »Day-Ahead«-Gaspreise und -Strompreise. Auf Grundlage aller Daten werden Anlagen flexibel betrieben, um die größtmögliche Kostenersparnis zu erreichen. Dazu werden die Verbräuche und Erzeugungsleistungen von Anlagen zeitlich verschoben, etwa durch Kraft-Wärme-Kopplung (KWK), Power-to-Heat und Po­wer-to-X, Wärme- und Batteriespeicher oder flexible Heizkessel, die sowohl mit Gas als auch mit Heizöl betrieben werden können. Die optimale Betriebsweise ist vollautomatisiert möglich, sodass Betreibern kein zusätzlicher manueller Aufwand entsteht (Bild 3).

Über die Verbesserung der Produktion hinaus eröffnet sich Betreibern die Möglichkeit, aus der Krise eine Chance zu machen: Wer die Leistung seiner Anlagen am Standort individuell steuert, kann nicht nur seine eigenen Kosten optimieren, sondern die gewonnene Flexibilität an einen Vermarkter weitergeben und so verschiedenen Märkten zur Verfügung stellen, etwa dem »Intraday-Spotmarkt«. Solche kurzfristigen Märkte sind von noch höheren Preisschwankungen geprägt – mit entsprechend höheren Erlöspotenzialen. Mit beiden Ansätzen lässt sich also Geld verdienen. Zusätzlich wird die Netzstabilität unterstützt. Auch für diese komplexe Aufgabe bietet Siemens mit einem Paket basierend auf dem Managementsystem »Desigo CC« alle Aspekte aus einer Hand.

Praxisbeispiel: stoba spart 26 % Kosten

Ein Praxisbeispiel macht in diesem Zusammenhang die Optimierungspotenziale deutlich, die eine solche Flexibilisierung der Energieströme tatsächlich bietet: Die stoba Präzisionstechnik GmbH & Co. KG in Backnang hat sich trotz Spitzenverbräuchen von 7 000 Kilowatt pro Stunde eine klimaneutrale Produktion als Ziel gesetzt. Um metallische Bauteile und Baugruppen umweltschonend herzustellen, arbeitet das Unternehmen mit Siemens Smart Infrastructure zusammen. Mit einem gemeinsamen Projekt will der Hersteller bis 2030 CO2-Neutralität erreichen und auch die Gewinnung und den Verbrauch von Energie flexibel und leistungsfähig aufstellen.

Durch die Nutzung von Flexibilisierung als Service spart stoba Energie

Bild 4: Durch die Nutzung von Flexibilisierung als Service spart stoba Energie; Quelle: Siemens AG

Um die Ziele zu erreichen, werden heterogene Leitsysteme durch das Managementsystem »Desigo CC« ersetzt, worüber auch die Flexibilitäten vermarktet werden. Zur erfassten Infrastruktur gehören mehrere Assets wie KWK-Anlagen und ein Batteriespeicher. »Peak Shaving« im Rahmen des Projekts, also die Lastspitzenkappung von firmeneigenen Kraftwerken, und ein flexibler Anlagenbetrieb reduzieren den Erdgasverbrauch am Standort in kurzer Zeit um rund die Hälfte. Der zusätzliche Batteriespeicher kann Verbrauchsspitzen noch besser ausgleichen. Durch die Flexibilisierung der Verbräuche von Strom, Kälte und Wärme kann stoba künftig bis zu 26 % der Kosten einsparen (Bild 4).

Die Flexibilisierung der Produktion geht dabei nicht zulasten von Verschleiß oder Standzeiten: Diese Variablen werden berücksichtigt und in entsprechende Vorgaben umgesetzt, etwa die maximalen Anlagenstarts an einem Tag oder die Mindestlaufzeit von Maschinen. Dabei ermöglicht die Technik von Siemens die Nutzung eines digitalen Zwillings, um sämtliche Aspekte zu erfassen.

Das Beispiel von stoba Präzisionstechnik zeigt: Die flexible Gestaltung von Produktion und Energieverbräuchen bringt in der Praxis schon jetzt Kostenvorteile für produzierende Unternehmen. Die intelligente Anlagenflexibilisierung ermöglicht es Betreibern, bei flexiblen Energietarifen zu sparen – ohne Produktivitätseinbußen oder manuellen Aufwand in Kauf zu nehmen. Weitere Vorteile wie potenzielle Zusatzerlöse durch die Vermarktung optimieren die Kostenstrukturen zusätzlich.

Von der Entlastung der Stromnetze profitiert nicht nur der einzelne Betrieb, sondern die gesamte industrielle Infrastruktur. So stellen Unternehmen sich mithilfe der Flexibilisierung ihrer Energieinfrastruktur zukunftsfähig auf und machen ganze Branchen krisenfester und leistungsfähiger – für eine sichere und effiziente Produktion heute und in Zukunft.

Autor

Sebastian Ritter, Sales Energy Performance Services bei Siemens Smart Infrastructure, Deutschland

 

Quelle und Bildquelle: www.elektro.net