Erneuerbare Energien erfordern intelligente Verbraucher. Die Infrastruktur großer Zweckgebäude, wie PV-Anlagen, Ladesäulen, Speicher usw. sollte hierfür so ausgelegt sein, dass sie das Netz nach Möglichkeit unterstützt. Im Idealfall sorgt sie sogar für eine gewisse Autarkie. Wie sich die Komponenten verhalten und wie die Wechselwirkungen in so einem System sind, ist Gegenstand eines aktuellen Forschungsprojekts am Karlsruher Institut für Technologie.
Das Karlsruher Institut für Technologie, kurz KIT, ist eine Forschungsuniversität in der Helmholtz-Gemeinschaft. Mit rund 10.000 Mitarbeitern ist es eine der größten Wissenschaftseinrichtungen Europas. Prof. Dr.-Ing. Thomas Leibfried, der Leiter des Instituts für Elektroenergiesysteme und Hochspannungstechnik, forscht schon seit vielen Jahren zum effizienten Energieeinsatz in Gebäuden. Ein erstes Projekt war das Energy Smart Home Lab (ESHL), ein Container mit einer 60 m2 großen Wohnung, die zeitweise wie eine ganz gewöhnliche Immobilie genutzt wird. Dazu gehören eine PV-Anlage, ein Blockheizkraftwerk, ein Heimspeicher, eine Wärmepumpe und die üblichen Haushaltsgeräte. Unter realen Bedingungen kann hier der Energieverbrauch eines Haushalts gemessen und die Auswirkungen auf das Stromnetz untersucht werden. Das Projekt ist inzwischen gut erforscht.
Der logische nächste Schritt war eine große, gewerblich genutzte Immobilie, wie ein Bürogebäude. Was war naheliegender als das eigene Institut zu nutzen? Unter dem Projektnamen Smart Energy Office Building (SEOB) sollte es zum smarten Gebäude werden. Mit Büros, Werkstätten, Prüftechnik und Prüfhallen für Experimente (Bild 1) bietet es ein vielfältiges Spektrum an Verbrauchern mit einem entsprechend hohen Energiebedarf, der zukünftig möglichst ressourcenschonend gedeckt werden soll.
M. Sc. Daniela Eser betreut als wissenschaftliche Mitarbeiterin die Messtechnik des Projekts. Sie beschreibt den grundsätzlichen Lösungsansatz: »Ziel von Smart Building-Systemen ist, die Autarkie des Gebäudes zu steigern. Das heißt, den Selbstverbrauch maximieren und das Netz möglichst wenig belasten. Dazu gibt es zwei Wege: Insgesamt weniger Energie vom Netz zu beziehen oder die Zeitpunkte der Netzbelastung abzustimmen. Dafür wollen wir eine intelligente Ansteuerung für alle Komponenten finden. Wir könnten das zwar simulieren, aber unser Gebäude als Reallabor ist der Simulation letztlich überlegen. Das liegt in der Natur der Sache.«
Simuliertes Netz trifft auf reale Verbraucher
An dieser Stelle muss eine Besonderheit des Projekts beschrieben werden. Das Power-Hardware-in-the-Loop (PHIL) ist eine Echtzeit-Simulationsumgebung. Reale Anlagen werden zum Testen mit einem in Echtzeit simulierten Stromnetz verbunden. Vereinfacht gesagt, wird die Energie wie gewohnt vom Verteilnetz bezogen, aber so gesteuert, als ob sie von einer PV-Anlage oder einem Windkraftwerk kommt. Die Parameter des simulierten Netzes lassen sich in kurzer Zeit variieren, wobei der Einsatz echter Hardware für eine hohe Genauigkeit der Tests sorgt. Damit lassen sich Erkenntnisse zum bestmöglichen Einsatz neuartiger Energieträger gewinnen.
Grund für den Aufwand sind die Wechselwirkungen von Lasten, die sich weit komplexer verhalten als die typischen Anlagen und Geräte von Wohneinheiten. So nutzen Maschinen verschiedene Kommunikationsprotokolle, die zu Latenzzeiten führen, wenn sie verbunden werden. Dazu kommt die Dynamik der Anlagen. Im SEOB gibt es neben einer simulierten PV-Anlage einen realen Batteriespeicher (Bild 2) und ein reales Wasserstoff-Speichersystem (Bild 3): Mit überschüssigem Strom wird per Elektrolyseur Wasserstoff erzeugt und gespeichert. Bei Bedarf lässt sich mit ihm eine Brennstoffzelle zur Stromerzeugung betreiben. Diese Art der Speicherung weist hohe Umwandlungsverluste auf, eignet sich aber gut als Langzeitspeicher.
Leibfried erläutert: »Uns interessiert auch die Dynamik: Wie reagiert ein Elektrolyseur auf den Betrieb mit PV-Strom, der bei Wetteränderungen oder Abschattungen durch Wolken stark schwankt?« Eser fasst zusammen: »Wir gehen nicht bei jedem Konzept in die Tiefe, sondern sehen uns eher verschiedene Optionen an. Uns interessiert die Sektorenkopplung mit Wasserstoff als chemischen Speicher, einem Batteriespeicher und auch E-Mobilität: Wann wird geladen, wann ist das Auto verfügbar und wieviel Reichweite müssen wir zurückhalten?«
Das war bei dem Altbau aus den sechziger Jahren nicht ganz einfach. Einerseits musste die Bestandsanlage nachträglich mit zahlreichen Sensoren ausgerüstet werden. Andererseits war es nicht möglich, beispielsweise in die Heizung einzugreifen. Allerdings ist die Isolation des Gebäudes ohnehin so minimal, dass ein sinnvolles thermisches Management nicht umzusetzen war. Seine großen Stärken demonstriert PHIL beispielsweise bei der Photovoltaik, wie Eser erklärt: »Wir haben leider keine eigene Anlage, beziehen aber Daten aus der Anlage eines Nachbargebäudes. Damit können wir das Verhalten unterschiedlich großer Anlagen hochrechnen.«
Die Kombination aus realem und errechnetem Netz erfordert vor allem Rechenleistung: »Das ist eine relativ neue Methode in der Energietechnik, um das Systemverhalten einzelner Komponenten in einer Umgebung zu untersuchen«, so Leibfried. »Der Echtzeitrechner gibt einem Umrichter bestimmte errechnete Signale. Der stellt sie je nach Betriebsmodus als Strom oder Spannung ein und gibt sie an das ›Device under Test‹«. Dieses reagiert auf die gestellte Größe (Strom oder Spannung), und die daraus resultierende Größe (Spannung oder Strom) wird gemessen. Diese Daten werden wieder an den Rechner gegeben, wobei die Simulation in Echtzeit berechnet wird. Für eine möglichst genaue Abbildung der Realität muss der Loop sehr schnell ausgeführt werden.
Ein Projekt in der Umsetzung, Herausforderung für die Messtechnik
Das Forschungsprojekt ist noch mitten in der Entstehung, wobei schon von Beginn an Ergebnisse gewonnen werden. Eine Besonderheit dabei ist ein internes Gleichstromnetz, das DC-Microgrid, das nach und nach realisiert wird. Mit ihm wird es möglich sein, PV-Anlagen, Wasserstoffkomponenten, Batteriespeicher etc. ohne den Umweg über AC/DC-Wandler zu verbinden. Die Busspannung ist im Versuchsbetrieb konstant, kann aber später noch flexibel gewählt werden. DC-Lasten werden derzeit noch emuliert. In der späteren Praxis können dies z. B. Server sein.
Die außergewöhnlichen Bedingungen in dem Projekt stellen auch an die Messtechnik außergewöhnliche Anforderungen. Eser: »Wir brauchen natürlich Daten für die Auswertung. Wir müssen z.B. den Netzbezug messen, um ihn verbessern zu können. Und wir brauchen sie natürlich auch, um die Modellbildung in der Simulation zu optimieren. Messen wir z. B. den Wechselrichter an einem Batteriespeicher, können wir die Dynamik des Speichers erfassen. Damit können wir das Modell des Speichers verbessern.«
Nachdem die Anforderungen an die Messtechnik definiert waren, machte sich Eser auf die Suche nach der passenden Messtechnik. »Ein wichtiges Kriterium waren beispielsweise die harmonischen Oberschwingungen. Es war uns wichtig, möglichst detailliert zu messen, wenn wir schon Messtechnik einbauen«, so Eser. Die Wahl fiel auf Geräte von Janitza, die einerseits die gewünschten Messungen ermöglichten und sich auch flexibel in die Installation integrieren ließen (Bild 4).
Das Forschungsprojekt erfordert eine relativ hohe Auflösung der Messdaten, die zugleich von mehreren Systemen abgerufen werden können, in diesem Fall »Gridvis« und »Grafana« von Janitza. Die plattformübergreifende Open-Source-Anwendung »Grafana« ist auf die sehr speziellen Anforderungen des Forschungsbetriebs ausgelegt. Allerdings reagiert sie empfindlich auf Netzwerkstörungen und Ausfälle. Deshalb läuft die Netzvisualisierungssoftware »Gridvis« als Backup mit, um eine hohe Verfügbarkeit der Messdaten sicherzustellen. Die Daten liegen in den internen Speichern der Messgeräte und können per »Gridvis« ausgelesen werden. Je nach Auflösung kann so ein Speicher die Messdaten mehrere Monate vorhalten. So sind diese selbst bei größeren Ausfällen sicher. Ferner erfolgt die Konfiguration der Messgeräte über diese Software.
Die Einspeisungen, d.h. Transformatoren, erhielten die Klasse-A-Spannungsqualitätsanalysatoren »UMG 512-Pro«. Für die Abgänge entschied man sich für Geräte vom Typ »UMG 801«, da diese modular erweiterbar sind (Bild 5). Die Versuchsaufbauten ändern sich ständig und damit auch die Installation in den Unterverteilungen. Mit den Erweiterungsmodulen »800-CT8-A« für Stromwandler 1A und 5A lassen sich die Messgeräte »UMG 801« flexibel an die neuen Gegebenheiten anpassen. Insgesamt 11 Messgeräte und 17 Erweiterungsmodule sind verbaut. Für spezielle Messungen, wie an einem Wechselrichter oder dem Elektrolyseur der Wasserstoff-Anlage dienen 7 Messgeräte des Typs »UMG 605-Pro«. Diese Geräte werden auch von einer anderen Forschungsgruppe genutzt, die mit einem emulierten Netz Auswirkungen von Abweichungen der Netzfrequenz untersuchen. Ein mobiler Messkoffer mit einem »UMG 512-Pro« für fliegende Aufbauten ergänzt die Ausstattung.
Der Anschluss an die Installation erfolgte mit Kabelumbaustromwandlern von Janitza, die sich auch an einem angeschlossenen Leiter montieren lassen. Ohne dieses Zubehör wäre eine Installation in diesem Umfang kaum möglich gewesen (Bild 6). Die Installation erfolgte unter Spannung.
Erkenntnisse und Erfolge
Neben dem eigentlichen Zweck, wissenschaftliche Erkenntnisse zu gewinnen, konnte das Forschungsprojekt auch schon zu direkten Energieeinsparungen beitragen. So fiel auf, dass in einigen fensterlosen Kellerräumen gelegentlich vergessen wurde, nach Feierabend das Licht auszuschalten. In einer großen Werkstatt mit einer Leistungsaufnahme von 1,5 kW für die Beleuchtung ergibt dies für ein Wochenende 90 kWh, die eingespart werden können.
Ein gutes Trainingsfeld ist auch die historisch gewachsene Installation, bei der sich oft nicht genau feststellen lässt, welche Verbraucher wo angeschlossen sind. Dies ist auch dem Umstand geschuldet, dass ursprünglich nicht zwischen Laboren und Büros unterschieden wurde. Dafür gab es in jedem Raum Säulen mit eigener Leistungsversorgung. Die Bedingungen sind ideal für den Forschungsbereich »Nonintrusive Load Monitoring« (NILM).
Hier wird zwar nur am Anschlusspunkt die Summe aller Lasten gemessen. Wenn man jedoch weiß, welches Verhältnis von Wirk- und Blindleistungen ein Gerät aufweist und wie lange es normalerweise in Betrieb ist, kann man typische Gerätemuster erkennen. Mit diesen Informationen lässt sich das Energiemanagementsystem auch im Detail ohne aufwendige Einzelmessungen verbessern. Schließlich will das KIT auf lange Sicht CO2-neutral werden. Auf Basis der Messdaten könnte man sogar bestimmte Prozesse oder Versuchsaufbauten, die einen zeitlich flexiblen Betrieb erlauben, mit Prognosen zu Überschüssen aus PV- oder Windenergie synchronisieren.
Die Daten werden auch zur Visualisierung im ganzen Institut genutzt, wie Eser erläutert: »Wir haben im Eingangsbereich Bildschirme, auf denen wir die Messergebnisse aus dem Gebäude darstellen. Damit wollen wir die Studierenden für unser Projekt und für eine Abschlussarbeit bei uns begeistern.« Die Darstellung zeigt Tages- und Wochenverläufe der verschiedenen Lasten einschließlich Wirk- und Blindleistungen. Dazu noch die THD-U-Werte (Total Harmonic Distortion, hier der Spannung U, deutsch Oberschwingungsgesamtverzerrung), also Abweichung von der Sinusform.
Die Messergebnisse haben auch einigen Zusatznutzen gebracht. Mit den Messdaten und den analytischen Fähigkeiten der Wissenschaftler konnte Eser auch im Detail Verbräuche abschätzen, etwa für den Ausdruck einer Seite (12,5 Wh beim ersten Aufheizen des Geräts), eine Fahrt mit dem Aufzug (25 Wh) oder eine Tasse Kaffee (25 Wh). Mit diesen Werten kann sie über den Wissenschaftsbetrieb hinaus auch Laien sehr anschaulich für den eigenen Energieverbrauch sensibilisieren – ein wichtiger Baustein auf dem Weg zur Klimaneutralität.