Praxisanfrage

Wir sind Maschinenhersteller und bauen unsere Anlagen gemäß EN 60204-1. Die Forderung nach einer Netztrenneinrichtung ist dort klar geregelt und entsprechend umgesetzt. In einem aktuellen Projekt (Bilder 1 bis 3) wurde jedoch ein Überwachungsschaltschrank zugekauft, der nicht Bestandteil der eigentlichen Maschinensteuerung ist. In diesem Schaltschrank ist keine eigene Netztrenneinrichtung integriert; die Freischaltung erfolgt ausschließlich über die Unterverteilung.

Bild 1: Typenschild für das Leergehäuse (Foto zur Anfrage mit eingefügten Anmerkungen)

Der betreffende Schaltschrank wurde von einer Schweizer Firma geliefert, der Projekt­standort ist in Deutschland. Es handelt sich um einen Standschrank aus Stahlblech (Schutzklasse SK I), laut Typenschild gebaut nach EN 61439-3 (Installationsverteiler). Das Typenschild weist jedoch keine CE-Kennzeichnung auf, und weitere normativ geforderte Angaben wie Seriennummer oder Herstelleranschrift fehlen. Die Konformitätserklärung liegt inzwischen vor, enthält jedoch keine Angaben zu den verwendeten Richtlinien.

Da EN 61439 keine zwingende Forderung nach einer integrierten Netztrenneinrichtung stellt, stellt sich für uns die Frage: Muss bei einer Niederspannungs-Schaltgerätekombination – wie hier einem Überwachungsschaltschrank für Anlagenparameter – zwingend eine eigene Netztrenneinrichtung vorhanden sein, oder reicht die Möglichkeit der Freischaltung über die vorgelagerte Unterverteilung aus?

Des Weiteren möchte ich darauf hinweisen, dass durch den Schaltschrank eine einphasige 230-V-Pumpe versorgt und angesteuert wird. Ein separater »Pumpenschrank« ist nicht vorhanden. Die Einspeisung des Schranks erfolgt aus einer externen USV; entsprechende Auszüge aus dem Schaltplan sowie ein Foto des Typenschilds ohne CE-Kennzeichen liegen vor.

Daraus ergeben sich weitere Fragestellungen: Wenn der Schaltschrank keine Ansteuerung der Pumpe enthalten würde – also nur zur Überwachung dient – wäre das Fehlen einer eingebauten Netztrenneinrichtung in Ordnung, sofern der Schrank nach EN 61439-1 gebaut ist?

Ist durch die Ansteuerung der elektrisch betriebenen Pumpe eine Einordnung unter die Maschinenrichtlinie notwendig, was wiederum bedeuten würde, dass die Anforderungen der EN 60204-1 (inklusive Netztrenneinrichtung) Anwendung finden müssen? Müsste der Schaltschrank in diesem Fall CE-gekennzeichnet und mit vollständigem Typenschild versehen sein, auch wenn die Einspeisung extern erfolgt?

Wir bitten um Einschätzung, ob unsere Interpretation zur Trennvorrichtung korrekt ist und welche normativen Anforderungen hier tatsächlich bindend sind.

Expertenantwort

Schaltschränke gemäß Richtlinien der EU

Auch wenn die Schweiz nicht zur EU gehört, müssen elektrische Betriebsmittel, z. B. bestückte Schaltschränke, den Richtlinien der EU entsprechen, wenn sie in die EU eingeführt werden. Demnach muss an Betriebsmitteln, z. B. an Ihrem Schaltschrank, eine CE-Kennzeichnung vorhanden sein, die sich auf den bestückten Schrank bezieht. Diese CE-Kennzeichnung fehlt an Ihrem Schrank bzw. ist nicht korrekt, somit dürfte der Steuerschrank gar nicht in die EU eingeführt werden. Da auch die Konformitätserklärung, die Sie vom Schrankhersteller erhalten und beigefügt haben, nicht der Vorgaben der einschlägigen Richtlinien entspricht, müssten Sie als »Importeur« die entsprechenden Vorgaben bzw. Maßnahmen nachholen, was für Sie kaum machbar sein dürfte.

Die an der Montageplatte vorhandene CE-Kennzeichnung ist von Hersteller des Leergehäuses korrekt angebracht (Bild 1). Leider fehlt auch hier der Bezug auf die relevante Norm für Leergehäuse. Hierfür wäre die DIN EN IEC 62208 (VDE 0660-511): 2024-10 »Leergehäuse für Niederspannungs-Schaltgerätekombinationen« zutreffend.

Zutreffende Norm für den Steuerungsschrank

Ausgehend davon, dass dieser »Überwachungsschaltschrank« keinerlei Verbindung, z.B. Überwachungs- oder Kontrollfunktion mit der vorhandenen Maschinenausrüstung hat, würde ich Ihnen recht geben, dass dafür nicht die DIN EN 60204-1 (VDE 01013-1) anzuwenden ist. Allerdings geben Sie in Ihren zusätzlichen Informationen an, dass dieser Steuerschrank, der Ansteuerung von einer Pumpe dient. Somit müsste eindeutig die DIN EN 60204-1 (VDE 01013-1) zur Anwendung kommen. Somit wäre an diesem Steuerschrank auch eine Netztrenneinrichtung erforderlich.

Da der Schaltschrank über eine USV eingespeist wird, sehe ich eine besondere Notwendigkeit für eine Netztrenneinrichtung, da z.B. ein Mechaniker, der die Pumpe warten muss, ja nicht den Schaltschrank öffnen darf, auch wenn er einen entsprechenden Schlüssel hätte, um die Pumpe über den Leitungsschutzschalter F3.1 (aus Ihrem beigefügten Stromlaufplan – Anm. d. Red: hier nicht abgedruckt) von der Stromversorgung zu trennen.

Normative Zuordnungen

Die Zuordnung zur DIN EN 60204-1 (VDE 01013-1) sehe ich durch den Anhang C von DIN EN 60204-1 (VDE 01013-1):2019-06 gegeben, wo auch »Pumpen« angeführt sind, für die die DIN EN 60204-1 (VDE 01013-1):2019-06 anzuwenden ist. Wegen der Zuordnung zur DIN EN 60204-1 (VDE 01013-1) wäre auch die Konformität sowohl mit der Maschinenrichtlinie als auch mit der Niederspannungsrichtlinie gefordert. Außerdem könnte auch die Konformität mit weiteren Richtlinien zutreffen, z. B. mit der EMV-Richtlinie. Dies Richtlinien müssten auf der Konformitätserklärung angeführt sein.

Aufschrift auf dem Typenschild

Bild 2: Typenschild für den Steuerschrank, angebracht vom »Steuerungsbauer« (Foto zur Anfrage mit eingefügten Anmerkungen)

Dass nach DIN EN 60204-1 (VDE 01013-1) ein Typenschild am Steuerschrank notwendig ist, ergibt sich aus Abschnitt 16.4 von DIN EN 60204-1 (VDE 01013-1):2019-06, wo Folgendes festgelegt ist: »An Gehäusen, die an eine externe Stromversorgung angeschlossen sind, müssen folgende Informationen lesbar und dauerhaft so angebracht sein, dass diese nach der Installation der Ausrüstung weiterhin deutlich sichtbar sind:

  • Name oder Firmenzeichen des Lieferanten;
  • Typbezeichnung oder Modell, wenn anwendbar;
  • Seriennummer, wenn anwendbar;
  • Nummer der Hauptdokumentation (siehe IEC 62023), wenn anwendbar;
  • Nennspannung, Anzahl der Außenleiter und Frequenz (bei Wechselstromversorgung) und Volllaststrom für jede Einspeisung.«

Am Steuerschrank ist zwar ein Typenschild vorhanden (Bild 2), dieses Typenschild erfüllt jedoch nicht die Anforderungen der DIN EN 60204-1 (VDE 01013-1).

Zusammenfassung

Bild 3: Plexi-Abdeckungen an den Leitungsschutzschaltern bzw. an den RCDs (Foto zur Anfrage mit eingefügten Anmerkungen)

Nicht verständlich ist für mich, dass es sich laut Angabe auf dem Typ-Schild (Bild 2) um einen »Installationsverteiler für die Bedienung durch Laien (DBO)« nach DIN EN 61439-3 (VDE 0660-600-3) handeln soll. So wie ich es erkennen kann, kann der Schaltschrank nur mit Schlüssel oder Werkzeug durch Elektrofachkräfte geöffnet werden. Wenn der Schrank ohne Schlüssel oder Werkzeug geöffnet werden könnte, wäre eine vollständige »Zwischenabdeckung« als Berührungsschutz für den elektrotechnischen Laien gefordert.

Nur durch die Plexi-­Abdeckungen (Bild 3) an den Leitungsschutzschaltern bzw. an den Fehlerstrom-Schutzeinrichtungen (RCDs) wird der Schrank nicht »laienbedienbar«. Für die Elektrofachkraft wären diese Abdeckungen aber nicht notwendig, da diese Betriebsmittel »fingersicher« sind und somit für die Elektro­fachraft ein ausreichender Schutz gegen zufälliges Berühren aktiver Teile gegeben ist.

Auf dem Typenschild des Schrankhersteller ergibt sich auch noch eine Widerspruch, da es sich auf der einen Seite um einen »Installationsverteiler für die Bedienung durch Laien (DBO)« nach DIN EN 61439-3 (VDE 0660-600-3) handeln soll und auf der anderen Seite das Kästchen Bedienung durch »instruierte Personen« angekreuzt ist (Bild 2).

Abschließend sei noch erwähnt, dass es weder in der DIN EN IEC 61439-1 (VDE 0660-600-1) noch in der DIN EN IEC 61439-3 (VDE 0660-600-3) eine Forderung nach einem Hauptschalter bzw. einer Trenneinrichtung gibt.

Autor

Werner Hörmann, gelernter Starkstrommonteur und viele Jahre als Projektant für Schaltan­lagen und Steuerungen bei Siemens; aktive Normung in verschiedenen Komitees und Unterkomitees der DKE; Verfasser zahlreicher Beiträge in der Fachzeitschrift »de« sowie Autor diverser Fachbücher.

 

Quelle und Bildquelle: www.elektro.net