Praxisfrage

Es geht um den Netzanschlusspunkt (NAP) bei einer PV-Erzeugungsanlage. Wir sind ein Unternehmen mit fünf Gebäudekomplexen an einem Standort im Süden von München (Bild 1). Es existiert eine bestehende PV-Anlage mit ca. 250 kWp und Nulleinspeisung. Diese wurde auf einem Gebäude errichtet und über deren NSHV an unseren 20-kV-Mittelspannungs-Ring (MS-Ring) angeschlossen. Der MS-Ring versorgt alle Gebäude und hat zum Netzbetreiber zwei separate Einspeisepunkte. Hierbei schalten wir aktuell zwischen diesen zwei NAPs uneingeschränkt um.

Bild 1: Skizze der elektrischen Anlage zur Anfrage

Um beide Einspeisungen zu nutzen, wurde in Absprache mit dem Netzbetreiber aufwändige Schutztechnik für beide Einspeisestränge verwendet, um unsere Anlage bei Fehlfunktionen abzuregeln bzw. vom Netz nehmen zu können. Nun planen wir im Rahmen einer Dachsanierung für ein weiteres Gebäude, dieses mit einer PV-Anlage von etwa 120 kWp und Nulleinspeisung auszurüsten. Bei der jetzigen Antragstellung will uns der Netzbetreiber einschränken, so dass wir die PV-Anlage nur an einem definiertem und vorgegebenen Netzanschlusspunkt betreiben können. Somit können wir zukünftig, ohne Verluste, nur einen Netzanschlusspunkt nutzen. Der Netzbetreiber schreibt uns dazu Folgendes:

Schriftverkehr 1: »Jeder Erzeugungsanlage wird nur ein Netzanschlusspunkt (NAP) zugewiesen. Das wird im § 8 Abs. 1. EEG und zusätzlich im § 10 Abs. 2 EEG in Verbindung mit § 49 EnWG geregelt. Ein Betrieb an zwei verschiedenen NAPs (n-1-­sicher) ist gesetzlich nicht vorgesehen. Bei einer Überschreitung normativ zulässiger Grenzwerte, z. B. der zulässigen Spannungsänderung von 2 %, der Netzbetreiber im worst-case Netzverstärkungen auf zwei verschiedenen Mittelspannungsleitungen durchführen müsste, obwohl diese Grenzwertverletzungen von ein und derselben Erzeugungsanlage verursacht werden. Um die Kosten für den Netzausbau verträglich und wirtschaftlich zu halten, wird daher nur ein NAP zugewiesen.«

Schriftverkehr 2: »Jede Erzeugungsanlage verursacht Netzrückwirkungen in das öffentliche Netz, also auch dann, wenn am NAP keine Leistung in das Netz des NB zurück gespeist wird. Das sind z. B. eine erhöhte Kurzschlussleistung, Oberschwingungen und Flicker, ein Spannungshub, schnelle Spannungsänderung usw. Die Berechnung der zulässige Spannungsänderung (Δu ≤ 2 %) erfolgt durch Zu- bzw. Abschaltung aller Erzeugungsanlagen innerhalb des gesamten galvanisch verbundenen MS-Netzes (E-Gebiet des Netzbetreibers). Der Leistungsfluss am NAP des Netzkunden ist hierbei irrelevant. Dies ist eine Berechnungsvorschrift aus der VDE-AR-N 4110 und ist vom Netzbetreiber für alle Netz­kunden gleichermaßen anzuwenden. Wird z.B. die zulässige Spannungsänderung überschritten, ist entweder der Anschluss einer neuen EZA nicht möglich oder der Netz­betreiber ist zum Netzausbau verpflichtet. Würde dieser Spannungshub auf beiden Anschlussleitungen überschritten, könnte der NB verpflichtet werden, auf beiden Leitungen Netzausbaumaßnahmen durchzuführen, obwohl es sich um ein und dieselbe EZA handelt. Das ist weder gesamtwirtschaftlich sinnvoll noch seitens des EEG so vorgesehen. Leider hat man den Sachverhalt bei dem Anschluss der Bestandsanlage übersehen. Normalerweise hätte auch diese nur (n-0)-sicher angebunden werden dürfen. Wir sehen hier keinen Spielraum und bleiben bei den gesetzlichen und normativen Vorgaben eines (n-0)-sicheren Anschlusses von Erzeugungsanlagen.«

Grundsätzlich können wir dieses Vorgehen und die Einschränkung nicht wirklich nachvollziehen. Wir möchten auch weiterhin unsere beiden Netzanschlusspunkte, ausgeführt nach aktuellem Stand der Technik, uneingeschränkt nutzen und auswählen können. Leider liest sich die VDE-AR-N 4110 nicht sehr flüssig und ohne Hintergrundwissen fällt die Interpretation – z. B. des dortigen Bild D.7 – nicht ganz leicht. Sind die getätigten Aussagen vom Netzbetreiber so unumstößlich und müssen wir diesen folgen?

Expertenantwort

Erfassung der Problemstellung

Eine sehr interessante und umfangreiche Fragestellung, welche Sie im Rahmen Ihrer projektbezogenen Diskussionen mit Ihrem Energieversorger hier aufwerfen. Dem Wesen nach haben solche Fragestellungen immer zwei relevante Seiten. Die eine Seite ist die Interpretation von Gesetzen und Gesetzestexten »mit der Brille des Juristen«. Die andere Seite hingegen ist deren technische Interpretation. Zweiteres gestaltete sich nicht immer eindeutig und einfach, ist aber das, was wir als Techniker leisten können. Einer Rechtsinterpretation im Sinne der Gesetzgebung werde ich daher vermeiden.

Gestatten Sie mir noch, dass ich eine Lanze für die Energieversorger breche, bevor ich versuchen werde, Ihre Fragestellungen technisch zu beleuchten. Die Änderung der Architektur und die ständig sich verändernden Anforderungen an die Struktur und den Aufbau von Energieversorgungsnetzen, sowie die hoch dynamisch sich ändernden gesetzlichen Vorgaben und Vorschriften, stellen die Energieversorger und Netzbetreiber vor extreme organisatorische und technische Herausforderungen. Es ist davon auszugehen, dass die Unternehmen dieser Branche und deren Mitarbeiter täglich ihr Bestes geben, um dieser Dynamik gerecht zu werden. Interpretieren oder bewerten Sie daher bitte eine wie von Ihnen beschriebene Diskussion nicht als Bevormundung, Einschränkung oder den Versuch, Sie von Ihrem Vorhaben abzuhalten. Die technischen Mitarbeiter bei den Netzbetreibern sollten wir als Teil eines Teams, nicht als Gegner bei der Projektrealisierung begreifen.

Nun aber zu Ihrer konkreten Fragestellung. Vorweg und wie so oft die Einschränkung, dass ich nur das bewerten kann, was ich an Informationen von Ihnen bekommen habe und daher keine allumfassenden Aussagen oder gar eine gutachterliche Stellungnahme zu Ihrer Frage abgeben kann.

Bild 2: Vereinfachtes Anlagenschema als Grundlage der Beantwortung dieses Praxisproblems

Erfassung der Anlagenstruktur

Aus der von Ihnen gegebenen Beschreibung ergibt sich für mich folgendes Bild der Anlage. Wir können die Anlage demnach als Misch­anlage am Mittelspannungsnetz mit 2 Einspeisepunkten charakterisieren (Bild 2). Hierbei gelten folgende Bedingungen:

  • Verfügbarkeitsauslegung n+1 mit 2 x 100 %
  • Netzkupplung über NAP1 und NAP2 nicht zulässig
  • Netzumschaltbedingungen gemäß Vereinbarung zwischen Anlagenbetreiber und Netzbetreiber
  • Die relevanten Hoheits- und Eigentumsgrenzen sind:
  • Links von NAP 1: Netzbetrieb
  • Rechts von NAP 2: Netzbetrieb
  • Zwischen NAP 1 und NAP 2: Anlagen­betrieb

Zunächst einmal stellt die Anlage insofern eine etwas besondere Art und Struktur dar, da sie über zwei verschiedene Netzbereiche gespeist wird. So ein Aufbau versuchen Netzbetreiber in der Tat gerne zu vermeiden, da durch die Kundenanlage die Netzbereiche gekuppelt werden können, ohne dass der Netzbetreiber das mitbekommen würde. Die Kupplung von Netzbereichen kann aber zu unerwarteten Lastflüssen und Betriebsbedingungen sowie zu unzulässigen Erhöhungen der Kurzschlussleistungen führen. Daher ist es dem Anlagebetreiber auch untersagt, dies zu tun, was wir weiter unten im Text noch einmal aufgreifen.

Argumentation des Netzbetreibers

Der Netzbetreiber argumentiert bei seiner Forderung nach der Festlegung auf einen Anschlusspunkt, dass er sonst über Gebühren belastet wird, da er die Netze an zwei Anschlusspunkten entsprechend ausgebaut halten muss, um die Anlagenwirkung auf sein Netz in den zulässigen Bereichen halten zu können.
Der Netzbetreiber kann den Anlagen­betreiber durch Verrechnung von Baukostenzuschüssen an diesen Kosten beteiligen. In Ihrem Fall kann er das für jeden der beiden Netzanschlüsse natürlich auch machen. Das Problem, welches ich sehe, liegt darin, dass eigentlich keine Anschlussänderung an den Anschlüssen erfolgt. Dies führt dazu, dass der Netzbetreiber in Ihrem Fall keine Rechtsgrundlage hat, Sie als Anlagenbetreiber wiederholt an Netzbaumaßnahmen kostenmäßig zu beteiligen. Hier kommen wir jetzt aber stark in die juristischen Fragestellungen, weshalb ich dies nicht weiter ausführen und erörtern möchte.

Grundsätzlich lässt sich die Argumentation des Netzbetreibers nachvollziehen und sie ist technisch als sachgerecht und richtig einzustufen. Diese Aussage bedeutet jedoch nicht, dass die Argumentation dazu geeignete ist, Sie als Anlagenbetreiber zu einer Festlegung auf einen Anschlusspunkt zu zwingen. Sehen wir uns hierzu die durch den Netzbetreiber angeführten Sachgründe etwas genauer an.

Festlegung auf einen NAP durch EEG

Zunächst ist hier anzuführen, dass es im Erneuerbaren Energien Gesetz (EEG) keine Betrachtung für mehrere Netzanschlusspunkte gibt. Es wird immer von einem Anschlusspunkt ausgegangen, da man die grundsätzliche technische Lösung für die Anbindung einer EZA »auf der grünen Wiese« bei der Gesetzgebung vor Augen hatte. Die Tatsache, dass mehrere unabhängige Anschlusspunkte als n+x-Strategie nicht im Gesetzestext zu finden ist, bedeutet aber nicht, dass es nicht zulässig wäre. Grundsätzlich nimmt § 8 den Netzbetreiber in die Pflicht einen (nicht als absolute Anzahl zu lesen) Netzanschlusspunkt unter dem Minimierungsgebot der Kosten für den Anlagenerrichter/Anlagenbetreiber der EEG-Anlage zu errichten. Es erfolgt also keine Einschränkung der Anzahl möglicher Verknüpfungspunkte, auf die die Erzeugungsanlage im Zuge eines 1-aus-x-Konzeptes elektrisch verbunden sein kann. Der weiterhin angeführter § 10 regelt Fragestellungen zum Messstellenbetrieb. Das Messkonzept ist in Ihrem Fall ja aber nicht weiter von Relevanz in der Diskussion.

Festlegung auf einen NAP durch EnWG

Weiterhin wird in der Diskussion auf § 49 des EnWG verwiesen. Dieser Paragraph ist schon als Klassiker aus dem EnWG zu bezeichnen, zumindest für alle, welche sich mit den VDE Normen herumschlagen. Der Netzbetreiber handelt völlig richtig, wenn er in der Diskussion auf diesen verweist. § 49 fordert die Einhaltung der anerkannten Regeln der Technik. Er formuliert den Vermutungsgrundsatz, dass diese eingehalten werden, wenn die Regeln und Vorgaben des VDE eingehalten werden. Dies ist der Grund, warum wir bei der Planung, Ausführung und dem Betrieb elektrischer Anlage auf die VDE-Normen zurückgreifen. Technische Details werden im EnWG nicht geregelt. Wir müssen also die VDE-Normen und Regeln bemühen, was wir im Folgenden durch einen Blick in die ebenfalls in der Anfrage bereits zitierte VDE-AR-N 4110 werfen.

Vorgaben zur Festlegung auf einen NAP durch VDE-AR-N 4110

Grundsätzlich hat der Netzbetreiber das normative Recht die Gestaltung von an sein Netz anzuschließenden Anlagen mitzubestimmen und zu reglementieren. Hierzu schreibt die Anwendervorschrift: »64.1 (…) Der Netzbetreiber darf Änderungen und Ergänzungen an zu errichtenden Anlagen fordern, soweit diese für den sicheren und störungsfreien Netz­betrieb notwendig sind.« Dies hat der Netzbetreiber ja auch getan. Er hat umfassende technische Schutzeinrichtung und Verriegelungen an beiden Netzanschlusspunkten gefordert, welche, entsprechend seinen Vorgaben, ja auch umgesetzt wurden.

Weiterhin definiert die Anwenderregel: »5. Jede Kundenanlage wird über eine (…) Übergabestation an das Mittelspannungsnetz des Netzbetreibers angeschlossen (…)« Auch diese Aussage kann jedoch nicht so interpretiert werden, dass es nicht eine Auswahl von Übergabestationen an Übergabepunkten geben kann, aus welcher in einem 1-aus-x-Verfahren je nach Anlagenbetrieb gewählt werden kann.

Deutlich wird die oben getroffene Aussage, wenn wir uns den Absatz 8.7 der Anwenderregel ansehen. Dort heißt es: »Sofern eine Kundenanlage über mehrere Übergaben verfügt, sind diese elektrisch getrennt voneinander zu betreiben. Eine elektrische Verbindung innerhalb der Kundenanlage ist nicht gestattet … Ausnahmen sind mit dem Netzbetreiber abzustimmen (z. B. Umschaltungen)«. Die Anwenderregel kennt und berücksichtigt demnach genau solche Konstellationen, wie Sie in Ihrer Anlage vorliegen, auch wenn diese in den Darstellungen und Festlegungen nicht explizit dargestellt werden. Die Anforderungen der Anwenderregel gelten somit für jede der Übergabestationen vollumfänglich.

Resümee und Empfehlungen

Zusammenfassend können wir feststellen, dass die Argumentation des Netzbetreibers aus ökonomischer Sicht völlig nachvollzogen werden kann. Bei Einhaltung der anerkannten Regeln der Technik für jede Übergabestation an jedem Netzübergabepunkt und bei Einhaltung der Anforderungen an den Anlagenbetrieb, können keine technischen Gründe angeführt werden, welche einer solche Anlagekonstellation entgegenstehen.

Die in der Argumentation des Netzbetreibers aufgeführten Gesetzestexte verfangen hier nicht, da Sie kein Verbot einer solchen Konstellation vorsehen. Die anerkannten Regeln der Technik, hier explizit die Anwenderregel 4110, sehen solche Anlagenkonstellationen vor, auch wenn diese nicht im Detail dargestellt oder beschrieben sind. Der Forderung des Netzbetreibers ist aus technischer Sicht zu widersprechen. Ich würde zur Klärung des Sachverhaltes empfehlen, die Bundesnetzagentur als Berater und Interessensvermittler mit ins Boot zu holen.

Autor

Holger Niedermaier, zertifizierte Blitzschutzkraft, VdS-Sachverständiger zum Prüfen elektrischer Anlagen.

 

Quelle und Bildquelle: www.elektro.net